Das Kirchengestühl in der St. Nicolai Kirche zu Altenbruch

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Selbst noch nach Generationen kommen Nachkommen derer, die hier im Gestühl erfaßt worden sind aus aller Welt nach Altenbruch, um einen Blick auf den Sitz ihrer Vorfahren zu werfen. Damit den Nachfragenden eine gezielte Auskunft gegeben werden kann, lag es nahe, das Gestühl zu erfassen, wobei durch Kennzeichnung hinter dem Namen auf die entsprechende Reihe im Lageplan hingewiesen wird. In der Auflistung sind auch die Geburtsnamen der Frauen berücksichtigt worden. Die beiden Emporen im Chor sind nicht mit in die Erfassung eingeschlossen. Etwa drei Viertel der 361 Plätze, einschließlich der Banktüren, sind mit Namen, Wappen, Ranken und Sprüchen bemalt. Der beliebteste Psalm, der an 11 Plätzen vorkommt, lautet: "Herr ich habe lieb die Stätte deines Hauses und den Ort, da deine Seele wohnet".
Der Spruch in "Wachet auf ihr faulen Christen.....", scheint wohl die Tat eines Schalks zu sein. Er ist an der Innenseite einer Banktür geschrieben, und konnte sich somit in allen Jahren den strengen Augen der Kirchenvisitationen entziehen.
Die meist 250-jährigen Inschriften sind durch den hohen Aussagewert der Vor- und Nachnamen und ihrer sich ändernden Schreibweisen ein Stück Zeitgeschichte, und stellen für unseren Ort ein wertvolles Stück Kulturgut dar. Ein in diesem Bericht folgender Vergleich an Häufigkeit der Vornamen zum heutigen Altenbruch, dürfte auch bei denen Interesse erwecken, die nicht im Gestühl vermerkt sind. Um der Anzahl der Namen noch mehr Fülle zu geben, sind die Namen auf den Grabsteinen und an den Kunstgegenständen in einer gesonderten alphabetischen Auflistung, aber ohne nähere Hinweise, zusätzlich erfasst worden.
Die Erwartungen von Altenbrucher Einwohnern, deren Familien hier schon lange leben, werden bei der Suche nach ihren Namen oft nicht erfüllt. Die aufgemalten Namen stellen nur einen kleinen Ausschnitt der damaligen Namensstruktur dar. Es fehlen selbst viele Namen von Personen, die früher in der politischen und kirchlichen Gemeinde ein Amt bekleideten. Das von einigen immer gern geknüpfte Band ihrer Namen zu den Sitzen in der Kirche, läßt sich nur über das Kirchenbuch nachvollziehen. Bei dieser Abhandlung ist das Kirchenbuch nur einer Einsichtnahme zur Richtigstellung eventueller Schreibfehler unterzogen worden. Nur wenige alte Geschlechter können Siedlungskontinuität durch Grabsteine, Stiftungen und Wappen alleinig durch das Kircheninventar nachweisen.
Im Kirchenschiff haben wir zwei überschaubare Sitzbereiche, wobei der rechts von der Kanzel liegende (Bereich II) 189 Plätze bietet, währen der linksseitige (Bereich I) 120 Besucher aufnehmen kann. Die älteste Ausmalung im Schiff datiert aus dem Jahre 1701 und die jüngste von 1942. In diesen beiden Bereichen sind die Namen fast alle weiblich, was auf die damalige Sitzordnung nach Geschlechtern hinweist. Die einzelnen Sitzreihen sind vom Mittel-gang durch Türen, auf denen zahlreiche Familienwappen gemalt sind, abgeschlossen. Weitere zwei Sitzbereiche befinden sich im Chor und zwar auf der Südseite (Bereich III) mit 16 Sitzplätzen und an der Nordseite befindet sich das museale Männergestühl (Bereich IV) mit 36 Plätzen. In diesen Bänken oder Ständen, wie man damals sagte, ist die älteste Jahreszahl mit 1579 angegeben, die Angabe des Namens Johann in gotischer Schrift ist Beweis, dass die Zahl authentisch ist.
Dieses Gestühl ist noch nach eigenen Bedürfnissen erstellt, es ist ersichtlich, ob der Platzinhaber besonders dick oder ob er recht klein war. Bei der Auffrischung des Gestühls im Jahre 1965 durch den Kirchenmaler Peter Bitsch sind diese 36 Sitze ausgelassen worden. Viele Namen sind im Laufe der Zeit übermalt worden, bei guten Lichtverhältnissen schimmert noch einiges durch. An einem Platz sind bis zu vier Namen zu sehen, teilweise schon recht undeutlich, wobei der erste Platzinhaber oben steht und die anderen sich durch das veraltete Wort itzo (jetzt) anschließen.
Ohne die Fleißarbeit des Peter Bitsch mindern zu wollen, muss aber gesagt werden, dass sich beim Auffrischen viele kleine Fehler eingeschlichen haben, wie wir es auch vom mehrmaligen Abschreiben bei Texten kennen. Die durch Ortskundigkeit erkannten Fehler sind in dieser Auflistung korrigiert worden. So wurde der aufgemalte Name Peepern wieder zu Piepern und Tom Sonden wieder zu Tom Suhden. Im Bereich II/Reihe 1 muss es anstatt des aufgemalten Namens Catharina Schellen, richtigerweise Schelten lauten, denn dieser Name ist vom friesischen Vornamen Scelto abgeleitet. Ferner erhalten wir dazu im Bereich II, Reihe 15 durch die zeitnahe Aufschrift Margaretha Schelten 173 einen Hinweis. Die leicht eingeschnitzte Zahl 1076 auf dem Platz von Catharina Rode (VI/7) bietet Rätsel, denn es kann nicht sein, dass eine Kirchenbank ca. 120 Jahre älter ist als das Gotteshaus selbst. Vielleicht war es auch schon vor ca.250 Jahren das Ziel eines Schnitzers, später Nachforschende zu verwirren.
Es sprengt den Rahmen dieser Abhandlung eine nähere Stellungnahme über Herkunft und Bedeutung aller Nachnamen zu nehmen. Wie zu erwarten, sind ca. 85 % der Namen dem niederdeutsch-friesisch-westfä-lischen Sprachraum zuzuordnen. Die Namen Bulle, Meyer und Tamm liegen mit je 11 Nennungen vorne an. Der heute im Ort nicht mehr vorkommende Name von Duhn hält mit 7 Nennungen den nächsten Rang. Die Herkunft der Namen ist vielfältig. So ist der niederdeutsche Name Ruge auf einen Menschen rauen Charakters zurückzuführen, Rode ist ganz einfach der Rothaarige und Niebuhr der neue Bauer. Viele Namen geben eine Wohnstättenbezeichnung wie-der; wie z.B. : von Höden, beim Graben, von Kampen oder von Bargen.
Zahlreiche nicht mehr im Ort vorkommende Namen treffen wir aber in näherer Umgebung an, wie z.B.: Iburg, (Hemmoor) Lührs, (Wingst) Dodegge, (Geversdorf) oder Oellerich, in Otterndorf, der die niederdeutsche Form von Ulrich darstellt. Die seltenen Einzelnamen Kostennaschen oder Klemrock können keiner näheren Bestimmung zugeführt werden. Der fremd klingende Name Centaurus ist eine Umbenennung im Sinne des Humanismus, es bedeutet eine griechische Sagengestalt, die halb Mensch und halb Pferd darstellt. So wurde aus Kracke (Pastor) ein Craccius und aus Hahn (Pastor) ein Gallus, diesem eiferten die hiesigen Bulle und Tiedemann mit Bullius und Tiedemanus zeitweilig nach, aber man kam ja noch rechtzeitig wieder zur Vernunft.
Die Hitliste der weiblichen Vornamen ist deckungsgleich mit den Namenslisten anderer evangelischer Landesteile zu damaliger Zeit. Es war üblich, dass sich 80 % der Bevölkerung auf etwa 10 Vornamen beschränkten. Wenige deutsche Namen stehen einer erdrückenden Mehrheit von griechisch-lateinischen und biblischen Namen gegenüber. Der biblische Name Anna (Hannah) liegt mit 41 Nennungen an der Spit-ze, gefolgt von dem griechischen Namen Margareta mit 27 Nennungen. Ebenfalls griechisch ist Catharina (20) , dem das Wort rein zu Grunde liegt, während die biblische Elisabeth es auf 14 Namen bringt.
Nur mit 9 Namensträgern stößt der niederdeutsch-friesische Name Beke in die Phalanx der "Ausländer", ihm liegt Betke zu Grunde (wie Wiebke, Frauke). Der alte germanische Vorname Gissel (8) entstammt dem Wort gisal-der Sproß. Metta oder Mette sind viermal als Kurzform von Mechthild vorhanden (althochdeutsch maht - Macht und hiltja - Kampf). Gertrud ist einmal zu sehen, kommt in der landschaftlichen Form Gesa aber zweimal vor und einmal als Gesche.
Vornamen steigen und fallen in der Beliebtheit, so sind von den damaligen 4 Spitzenreitern die Namen Anna und Katharina stark in Mode gekommen. Im Jahre 1987 gab es an der Altenbrucher Schule erst eine Katha-rina und Anna war nicht einmal vertreten. Mit elf Nennungen lag Nicole weit vorne. Die im Kirchengestühl ebenfalls beliebten Namen Margaretha und Elisabeth sind heute aus der Mode.
Die Endungen "n" und "s" bei den Nachnamen der Frauen deuten auf die Zugehörigkeit hin. Als Beispiel wird Anna Maria Schlichtings geb. Hanecken angegeben (II/3). Der Ehemann hieß Schlichting und der Vater Hanecke. In den slawischen Sprachen hat sich diese Endung als owa (ova) erhalten. (Natrilova, Petrowna). Laut Aussage des Gestühls erlöschen bei uns diese Bezeichnungen um 1800 (Beispiel: A. M. Krohn - geb. Meyer 1820) (I/3).
Beim Hinweis auf Besitz hat sich dieses "s" erhalten, landschaftlich aber als "sch" wiedergegeben (der Lottmann'sche Hof, die Diers'sche Weide). Spricht man hingegen von der Meyer'schen, geschieht dieses meist in einer abträglichen Weise. Die Bezeichnungen bei den Frauen "J. Fr." bedeutet nicht Jungfrau, sondern Johanns Frau. Der Zusatz "H. Fr." ist auch keine Hausfrau, sondern die Frau eines Hans oder Hinrich.
Durch die geringe Anzahl des Männergestühls ist die Ausbeute der männlichen Vornamen gering. Der überwiegende Teil ist auch hier biblischer und griechischer Herkunft, allen voran der recht häufige Johann, der auch heute noch mit der Kurzform Jan gut im Rennen liegt. Um das Bild noch etwas zu vervollkommnen ist auch Bezug zu den Abkürzungen wie Ph. Tamm genommen worden. Das "Ph" steht für den griechischen Namen Philipp, der die Bedeutung Pferdefreund hat und sich in unveränderter Schreibweise im Jahre 89 auf Platz 9 der deutschen Namensliste vorgeschoben hat. Der Name Jürgen, der sich so schön deutsch anhört, ist aber auch nur eine norddeutsche Variante zum griechischen Georg. Wilcken ist die landschaftliche Form vom germanischen Wilhelm (Wille und Helm) und Wolderich ist auch germanisch (Walten und reich). z.B. Wolderich von der Lappe vom Schloss Ritzebüttel. Der biblische Matthias ist heute auch wieder ans Licht gekommen, während der griechische Dionisius und Hieronymus darauf wohl noch warten müssen.
Allen, die ihren eigenen Namen hier fanden oder die Interesse an der damaligen Entwicklung der Nachnamen und dem steten Wandel der Vornamen hegen, werden diese Zeilen sicherlich dienlich gewesen sein.

 

August 2000 Text: Karl-Wilhelm Tiedemann
Technik: Sybille Börner, Hans Hermann Milkert

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